Artikel in der NZZ

Noch trifft Lena Häcki nicht oft genug ins Schwarze. Und doch gibt es im Schweizer Biathlon derzeit kein grösseres Talent als die 19-jährige Engelbergerin.

Philipp Bärtsch (7.3.2015)

http://www.nzz.ch/sport/skisport/schiessen-statt-schwimmen-1.18497050

 

Frauen-Biathlon – das war hierzulande jahrelang der Familienbetrieb Gasparin mit Selina, der ältesten von drei Schwestern, als pionierhafter Leaderin. Sie wurde vor einem Jahr Olympiazweite und bald darauf schwanger. Heute Samstag schaut Selina Gasparin daheim im Oberengadin als Mutter der acht Tage alten Leila vor dem Fernseher zu, wie an den Weltmeisterschaften in Kontiolahti neben ihren Schwestern Elisa und Aita auch eine 19-jährige Schweizer Newcomerin läuft und schiesst.

Lena Häcki heisst die junge Frau, und wer Markus Regli, den Disziplinenchef, oder Markus Segessenmann, den Nationaltrainer, auf Häcki anspricht, kann sich auf Schwärmereien gefasst machen. «Ein ungeschliffener Diamant, physisch mit riesigem Potenzial, ein Wettkampftyp, voller Leidenschaft für den Spitzensport», quillt es aus Segessenmann heraus. Man hört dem Berner an, wie viel Spass es ihm macht, mit Häcki zu arbeiten. Häcki läuft schnell wie der Wind, an den Juniorinnen-WM in Weissrussland gelangen ihr zuletzt in vier Rennen vier Laufbestzeiten, obwohl sie auch gegen ein Jahr ältere Athletinnen antrat. Doch im Schiessstand, da hapert es noch, 20 Schuss, 11 Fehler, 20 Schuss, 10 Fehler – so ging das eben auch an den Juniorinnen-WM, und so kam es insgesamt eben nicht so heraus, wie sich Häcki und Segessenmann und Regli das erhofft hatten.

 

Die Schwankungen im Schiessstand erstaunen aber nicht bei diesem Werdegang. Lena Häcki ist erst seit gut drei Jahren Biathletin, zuvor war sie alles Mögliche. Klettern, Schwimmen, Skifahren, Rudern, Biken – Hauptsache Sport, Hauptsache Bewegung. Auf Langlaufski debütierte Häcki erst als 14-Jährige, animiert von Helen Fischer, der Mutter einer Freundin aus dem Schwimmverein. Fischer fördert in Engelberg den Langlauf- und Biathlon-Nachwuchs, und sie fand, Langlauf oder Biathlon, das müsste doch etwas für die ausdauernde Lena sein. Nun gehört Häcki dem gleichen Team an wie ihr Vorbild Selina Gasparin, die schon vor dem Mutterschaftsurlaub so etwas wie eine Mutterrolle hatte, sich um die viel jüngeren Schwestern und Kolleginnen kümmerte statt wie jetzt um die kleine Leila. Heute Samstag steht Häcki erstmals am Start eines WM-Rennens, bewegt sich unter Figuren wie Daria Domratschewa, dreifache Olympiasiegerin, oder Kaisa Mäkäräinen, finnische Lokalheldin. Häcki wird schnell laufen – und versuchen, die Nervosität in den Griff zu bekommen, die ihr im Schiessstand noch zu oft in die Quere kommt. «Das ist eine Frage des Mentalen. Aber ich arbeite daran», sagt Häcki, die keine Hemmungen hat, die Dinge beim Namen zu nennen, auch die negativen.

 

Was mit ruhiger Hand möglich ist, bewies Häcki am 23. Januar in Antholz, wo sie Zwölfte wurde, in ihrem sechsten Weltcup-Rennen. Noch erwartet niemand regelmässig solche Exploits von ihr. Doch wenn Häcki das Nervenflattern ablegen kann, hat sie eine schöne Zukunft vor sich. Läuferisch vergleichen sie Segessenmann und Regli mit Benjamin Weger, der als junger Biathlet in seiner Altersklasse auch einer der besten Langläufer im Land war.

 

Nach dem WM-Abenteuer in Karelien wird Häcki den Aufwand weiter erhöhen. Statt wie seit der Matura 40 Prozent in einem lokalen Sportgeschäft zu arbeiten, rückt die Absolventin der Sportmittelschule Engelberg am Montag nach den Weltmeisterschaften in die Spitzensport-RS ein.